Montag, 13. März 2017 10:34

Wintertourismus zerstört alpine Landschaften - Alpenweites Raumkonzept erforderlich

Gemeinsame PM von AVS und Dachverband - Blick unter die Schneedecke: Wie der Wintertourismus alpine Landschaften zerstört

Neue Studie vergleicht ökologischen Fußabdruck von Skigebieten in den Alpen – Alpenverein und Dachverband fordern alpenweites Raumkonzept

Der alpine Wintertourismus ist ein sehr bedeutender Wirtschaftszweig in Südtirol, gehört aber auch zu den größten Treibern der Naturzerstörung unserer Gebirgslandschaften. Mit 30.000 Kilometern Länge umspannen die Skipisten der Alpen fast drei Viertel des Erdumfangs, 11.000 Lifte und Seilbahnen stehen bereits zur Verfügung. Dennoch sind alpenweit 164 neue Anlagen geplant. Allein in Südtirol sind Pläne für 17 Pisten und 19 Lifte und Seilbahnen (vgl. FF No.16/2016) bekannt. Das führt zu einer Überlastung der betroffenen Naturräume.

„Die Spitzenreiter alpiner Landschaftsbelastung sind französische sowie österreichische Skigebiete. Besonders schädlich sind vor allem die Mega-Ski-Ressorts in hohen Lagen: Sie zerschneiden Ökosysteme, verkleinern den Lebensraum bedrohter Tier- und Pflanzenarten und verdrängen störungsempfindliche Wildtiere wie Birkhuhn und Schneehase“, fasst Klauspeter Dissinger vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz die Ergebnisse einer aktuellen Studie von Alfred Ringler zusammen. Der renommierte bayerische Biologe hat erstmals alpenweit die ökologischen Auswirkungen von vier Jahrzehnten Skitourismus untersucht und knapp 1.000 Skigebiete hinsichtlich ihres ökologischen Fußabdrucks verglichen. Die gesamte Studie „Skigebiete der Alpen: landschaftsökologische Bilanz, Perspektiven für die Renaturierung“ von Alfred Ringler wurde im Jahrbuch 2016/2017 des Vereins zum Schutz der Bergwelt mit Sitz in München publiziert und steht auf der Homepage des Vereins zum Download bereit.


Die Ergebnisse der Studie zeigen dabei ein Dilemma auf: Die kleineren Skigebiete in Talnähe werden wegen der mangelnden Schneesicherheit zunehmend aufgegeben, während die besonders landschaftsschädlichen Groß-Skigebiete in empfindlichen Alpenhochlagen stetig expandieren. Dort ist die ökologische Belastungsgrenze bereits überschritten. In Südtirol betrifft dies vorwiegend das Dolomitengebiet. Nach den Tiroler Skigebieten Sölden und Ischgl reihen sich auch die Dolomiten-Skigebiete Kronplatz, Gröden/Seiseralm, Alta Badia und die Gletscherskigebiete Sulden und Schnals in die Liste der Skigebiete mit dem alpenweit größten ökologischen Fußabdruck ein. Und trotzdem sollen sie weiter ausgebaut werden, wie die Pläne für die neue Talabfahrt in Schnals und die Vervollständigung der „Ortler Ronda“ in Sulden zeigen.


Bergwelt im Stress: Erschließungsdruck auf unberührte Landschaften steigt
Der Bau und Betrieb der Wintersportzentren beeinträchtigt fast alle Lebensräume und Arten in den Alpen und beeinflusst auch die Stabilität der Gebirgslandschaft. Dies kann Hangrutschungen und Muren auslösen beziehungsweise verstärken. „Pistenplanierungen, Zufahrtsstraßen, Waldrodungen und der aufwändige Bau von Beschneiungsanlagen haben in unseren Gebirgslandschaften eine Spur der Verwüstung gezogen“, gibt Georg Simeoni vom Alpenverein Südtirol (AVS) Ergebnisse aus der Studie wieder. „Ganze Landschaften werden umgebaut, um die Pisten an die Bedürfnisse des Durchschnittsskifahrers und an die Erfordernisse der Beschneiung anzupassen. Wenn die alpinen Ökosysteme nicht über kurz oder lang zusammenbrechen sollen, braucht es Endausbaugrenzen für den Skitourismus. Besonders Anlagen in den höheren Gebirgsregionen, in der Permafrostzone oder in Mooren und Quellgebieten dürfen in Zukunft nicht mehr bewilligt werden!“


Das Ranking – Die Skigebiete mit dem größten ökologischen Fußabdruck
Die alpenweite Bewertung erfasst knapp 1.000 Skigebiete mittels Eingriffsindex (Flächenverbrauch, Rodungen, Planierungen, Erosionsflächen, Beschneiung u.a.); je höher der Eingriffsindex (Zahl in Klammer) eines Skigebiets, desto größer ist seine Landschaftsbelastung. Die vorangestellte Zahl gibt den Platz im alpenweiten Ranking wieder. Abgrenzung und Bezeichnung der Skigebiete orientieren sich an der landschaftsökologischen Zusammengehörigkeit und können daher Unterschiede zu Angaben von Skigebietsbetreibern oder Tourismusstatistiken aufweisen. Einige Südtiroler Skigebiete rangieren weit vorne in der Liste, dicht hinter den Nordtiroler Spitzenreitern Sölden und Ischgl:

Tirol
1. Sölden (120)
3. Ischgl (105)

Südtirol
5. Kronplatz (95)
8. Corvara/Gröden (85)
9. Sulden (84)
13. Schnals (72)
20. Speikboden (63)
22. Klausberg (Steinhaus), Schöneben (57)


Die ökologischen Auswirkungen der Skigebiete hängen neben ihrer Größe vor allem von ihrer Höhenlage ab. So ziehen sich die fünf großen Skiresorts Südtirols über ganze Berge oder mehrere Bergmassive. Das belastet die Landschaft am stärksten. In der Liste noch nicht vorne dabei ist das Skigebiet Drei Zinnen-Dolomiten, hervorgegangen aus dem skitechnischen Zusammenschluss der Skigebiete Helm und Rotwand und der Fusion mehrerer Gesellschaften im Hochpustertal. Das Skigebiet findet sich noch aufgeteilt auf die einzelnen Teilgebiete. Die geplanten Zusammenschlüsse mit dem Skigebiet Thurntaler (Sillian) und der Skiarena Val Comelico (Belluno) würden das Skiresort schlagartig in der Rangliste weit nach vorne katapultieren.


Wirtschaften im Einklang mit Alpenkonvention statt Erschließungswahnsinn
Alpenweit sind 55 Mega-Skigebiete in Frankreich (20), Österreich (17), Italien (10) und der Schweiz (8) größer als 2.000 Hektar. Der Skibetrieb trifft dort auf sensibelste Ökosysteme, die sich von brachialen Eingriffen wie Grat- und Kammdurchbrüchen oder Sprengungen jahrzehntelang nicht erholen können oder ganz zerstört werden.

Der Wintertourismus setzt aber nicht nur die Zukunft alpiner Arten und wertvoller Lebensräume unverantwortlich aufs Spiel, sondern gefährdet auch wesentliche Ökosystemleistungen. Durch die Rodung von Latschenfeldern und die Bodenverdichtung auf den Pistenflächen steigt die Erosionsgefahr und leidet die Trinkwasserneubildung.

Für den Alpenverein Südtirol und den Dachverband für Natur- und Umweltschutz ist ein alpenweites, rechtsverbindliches und allseits respektiertes Raumkonzept die wichtigste Forderung, die sich aus der Studie ergibt. Zu einer verantwortungsvollen Raumplanung, mit der die Nutzung des Bodens vorausschauend organisiert und der Flächenverbrauch möglichst geringgehalten wird, gehören auch rechtsverbindliche Ausschlusszonen für den Ausbau. „Der Südtiroler Fachplan für Aufstiegsanlagen und Skipisten verbietet zwar die Ausweisung neuer Skizonen in skitechnisch unberührten Gebieten, doch besteht im gleichen Zug die Möglichkeit in Ausnahmefällen „ergänzende Eingriffe“ vorzunehmen – und zwar außerhalb der im Fachplan ausgewiesenen Skizonen im Rahmen einer von der Landesregierung genehmigten Machbarkeitsstudie. Damit lässt man sich offensichtlich eine Hintertür offen“, meint Georg Simeoni vom AVS. „2016 und 2017 landeten bereits zahlreiche Machbarkeitsstudien für die Gebiete Schnals, Marinzen, Schöneben-Haider Alm, Langtaufers-Kaunertal, Tiers-Frommeralm auf dem Tisch.“

 

Eine Zusammenfassung der Studie zum Download findet sich unter www.alpenverein.it und im Anhang

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