Bereits in den 1970er Jahren wurde mit der Errichtung von überdimensionierten Baukörpern für Tourismusbauten ein massiver Eingriff in das Landschaftsbild des Schnalser Talschlusses gemacht. Knapp 50 Jahre später sollen nun die damaligen Fehler wiederholt und sogar noch potenziert werden. Die geplante Verbauung von sage und schreibe 33.685 Quadratmetern Grundfläche und 70.000 Kubikmetern Baukubatur stehen in keinerlei Verhältnis zur kleinstrukturierten Siedlungsstruktur im Schnalstal. Die bis zu 27 Meter über dem heutigen Niveau hohen Hotelbauten und der bis zu acht Meter hohe Lawinenschutzdamm durchbrechen die Sichtverbindungen im hinteren Schnalstal und werden die hohe landschaftstypische Eigenheit und die ausgesprochene landschaftliche Vielfalt vom Schnalser Talschluss nachhaltig und irreversibel schädigen und zunichte machen.
Das geplante Projekt ist „für diesen sensiblen Ort nicht geeignet“.
Heute stellt sich Kurzras als Sammelsurium von Gebäuden, Erweiterungen und Anbauten in verschiedensten Baustilen, Formen, Elementen und Materialien dar. Deshalb wäre anzuraten, zuerst dort anzusetzen und die Situation zu verbessern. Leider wird diese Art des Sammelsuriums auch im vorliegenden Projektentwurf weitergeführt, in einer pseudomodernistischen globalisierten Architektursprache, die effekthascherisch und damit entsprechend kurzlebig ist. Der Landesbeirat für Baukultur beschreibt das Projekt folgerichtig als „inhomogen und sehr stark und auf verschiedene Arten auf den eigenen Ausdruck ausgerichtet, obwohl der besondere Ort des Talschlusses eine einfachere Antwort verlangt.“
In seiner zweiten Folgeberatung vom 6. Juni 2019 stellt der Beirat klar und unmissverständlich fest, dass das geplante Projekt „für diesen sensiblen Ort nicht geeignet ist“. In der dritten Folgeberatung vom 12. September 2019 präzisiert er seine Einschätzung nochmal und spricht von einem „sehr großen und problematischen Eingriff in die sensible Landschaft des Talschlusses“ und verweist nochmal auf sein Gutachten vom 6. Juni.
Das geplante Projekt ist also weder in seinen gigantomanischen Ausmaßen noch in der vorliegenden chaotischen architektonischen Formensprache für die Siedlungslandschaft im hinteren Schnalstal geeignet.
Kein Almdorf, sondern ein Tourismusghetto
Die Projektwerber bezeichnen ihr Bauvorhaben in den technischen Unterlagen als „Almdorf“. Doch mit einem historischen Almdorf, wie sie im Alpenraum über Jahrhunderte entstanden sind und die alpine Landschaft auf markante Weise prägen, hat das geplante Projekt gar nichts zu tun. Vielmehr ähnelt die geplante Hotelanlage frappierend den Retortendörfern, die in den französischen Alpen ab den 1960ern für den Skimassentourismus aus dem Boden gestampft wurden und die bis heute die Entwicklung der betroffenen Talschaften negativ belasten. Nicht umsonst fordert man in Frankreich mittlerweile den Abbau dieser Wintersportanlagen aufgrund ihrer „sozialen Wertlosigkeit und ihrer ökologischen Schädlichkeit“. Der Alpenforscher Werner Bätzing spricht in diesem Zusammenhang von „Tourismusghettos“.
In Kurzras bestehen derzeit 350 Gästezimmer (700 Betten) und weiters viele Personalzimmer. Neben den 600 neu geplanten Gästebetten braucht es zusätzlich bis zu 170 neue Betten für Mitarbeiter. Diese sollen in bestehenden oder neuen Strukturen untergebracht werden, welche aber gar nicht Teil des vorliegenden Projektes sind, obwohl das erforderlich wäre, um den Gesamteingriff richtig beurteilen zu können. Neben dem großen Tourismusghetto von Kurzras besteht damit die Gefahr einer weiteren Ghettoisierung in Mitarbeiterhäusern.
Kein Mehrwert für das Schnalstal
Die Projektwerber sprechen in ihren technischen Unterlagen davon, dass ihr Bauvorhaben einen „Mehrwert für das gesamte Schnalstal“ biete, dass Arbeitsplätze zu erwarten seien und die Abwanderung der Bevölkerung aus dem Tal zurückginge. Doch die Erfahrungen aus anderen, ähnlich angelegten Tourismusghettos in Wintersportgebieten sprechen eine andere Sprache. So hat etwa Sölden in den vergangenen zehn Jahren fast ein Viertel seiner Einwohner verloren. Und 20 Prozent jener, die noch dort leben, sind Ausländer. In den oben erwähnten Retortendörfern in den französischen Alpen ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Die Zunahme der Bevölkerung in den betroffenen Tälern kam vor allem durch externe Zuwanderung zustande, während die Bergbevölkerung weiterhin abwanderte. Die entstehenden Arbeitsplätze, die deutlich weniger waren als ursprünglich geplant, kamen nur in geringem Umfang der einheimischen Bevölkerung zugute.
Für das Schnalstal ist eine ähnliche Entwicklung zu erwarten, sollte das vorliegende Projekt in dieser Form umgesetzt werden.
Ökologische Bedenken
Das Moorgebiet, das direkt an die geplante Tourismuszone angrenzt ist „sowohl in pflanzensoziologischer als auch in ökologischer Hinsicht eine äußerst vielfältige Fläche“ (zit. nach Umweltverträglichkeitsstudie „Almdorf Schnals“). Mit der zweihäusigen Segge, der Entferntährigen Segge und der Norweger Segge wurden im betroffenen Gebiet gleich drei Pflanzenarten gefunden, die auf der roten Liste der gefährdeten Pflanzenarten stehen. Dies zeigt eindrücklich in welch hochsensiblem und einzigartigen Hochalpengebiet dieser Mammuteingriff erfolgen soll. Angesichts des Ausmaßes an Zerstörung von unberührter Landschaft erscheinen die vorgelegten ökologischen Ausgleichsmaßnahmen lächerlich gering und teils zweifelhaft.
Die Anzahl der Skifahrer geht europa- und weltweit zurück bzw. stagniert.
Dieser Trend ist seit vielen Jahren bekannt und vielfach belegt. Deshalb ist der Aufbau von Tourismusghettos, die rein auf den Skitourismus ausgelegt sind, im Grunde eine Investition gegen die touristischen Einrichtungen in der Nachbarschaft. Gemeinden und Landesregierung sollten verstärkt einen nachhaltigen, umwelt- und sozialverträglichen Tourismus fördern und nicht auf einzelne Großprojekte setzen, die das überaus wertvolle Kapital der landschaftstypischen Eigenheit und einmaligen Siedlungslandschaft nachhaltig schädigen. Das vorliegende Projekt ist tatsächlich mit dem Natur- und Kulturraum im hinteren Schnalstal unvereinbar.
Bild 1: Die auf mindestens zwei Seiten erforderliche steile Lawinenschutzmauer von mind. 8 Meter Höhe bildet einen völlig unnatürlichen geradlinig geformten Sockel und fügt sich überhaupt nicht in die Landschaft ein. Entwurf „Almdorf Schnals“ (Bürgernetz Südtirol).
Bild 2: Problematisches 2. Baulos: Die bestehende gewachsene Kulturlandschaft am westlichen Hang wird durch die geplante weitere Verbauung im Baulos 2 völlig umgestaltet und zerstört. Dieser Bereich oberhalb des Skiweges sollte unbedingt unberührt und unverbaut bleiben (Google Streetview)
Bild 3: Kurzras heute (Google Streetview)
Bild 4: Die äußerst wertvolle bäuerliche Siedlungslandschaft von Schnals ist besonders schutzwürdig und sollte daher vor negativen Eingriffen bewahrt werden. (Google Streetview)