Freitag, 18. Mai 2018 08:38

Der Landschaftsschutz bleibt auf der Strecke

Offener Brief: Gesetz Raum und Landschaft

Sehr geehrte Abgeordnete zum Südtiroler Landtag,


ab Dienstag kommender Woche werden Sie im Plenum über den Gesetzentwurf zu Raum und Landschaft diskutieren und folglich auch darüber befinden. Die Neuregelung sowohl der Raumordnung als auch des Landschaftsschutzes und die Zusammenführung beider Bereiche in einen einzigen Gesetzestext gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten normativen Neuerungen in dieser Legislatur. Dieses Gesetz wird das Land Südtirol in den kommenden Jahrzehnten maßgeblich gestalten, verändern und prägen. Die besondere Verantwortung, welche Ihnen als gesetzgebendes Organ zukommt, ist Ihnen aufgrund dieser gewichtigen Tragweite des Gesetzesentwurfs sicherlich bewusst. Dennoch möchten wir Ihnen mit gegenständlichem Schreiben unsere begründete Kritik an dem nun vorliegenden Entwurf auch schriftlich übermitteln.


Der Dachverband für Natur- und Umweltschutz hat sich über die gesamte Konsultations- und Ausarbeitungsperiode aktiv und konstruktiv in den Beteiligungsprozess eingebracht und eine ganze Reihe von Dokumenten mit Verbesserungsvorschlägen ausgearbeitet und übermittelt. Leider mussten wir feststellen, dass es ein Beteiligungsprozess der zwei Geschwindigkeiten war. Lediglich auf der Grundlage von längst überholten Versionen, Entwürfen und Informationen am Gestaltungsprozess teilhaben zu können, ist auf Dauer frustrierend. Genauso, wie es unbefriedigend ist, die wiederholt vorgebrachten Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge nicht in die Entwürfe einfließen zu sehen. Es würde den Rahmen dieses Schreibens sprengen, Ihnen eine Sammlung all unserer fachlichen Kritikpunkte zu den einzelnen Artikeln übermitteln zu wollen. Vielmehr möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass im neuen Gesetzentwurf zwei Gesetzesmaterien – die Raumordnung und der Landschaftsschutz – zusammengefasst wurden, der Landschaftsschutz dabei aber leider auf der Strecke bleibt.

 

Von der auch in der Verfassung verankerten Vorrangstellung des Landeschaftsschutzes ist im aktuellen Entwurf nicht mehr viel übrig. Bereits in den Zielsetzungen wird deutlich, dass der Schutz unserer Landschaft mit konkurrierenden Anforderungen gleichgestellt wird. Zudem weitet das Gesetz den politischen Spielraum, vor allem auf Gemeindeebene weiter aus, etwa was Kommissionen, Siedlungsgrenze, Raumordnungesverträge oder Änderungen am Gemeindeplan betrifft. Landschaft, Landschaftsbegriff, Landschaftsschutz hingegen wurden im gesamten Entstehungsprozess relativiert. Emblematisch für diese gezielte Abwertung des Landschaftsschutzes ist beispielsweise das im Gesetzgebungsausschuss gestrichene Vorschlagsrecht für Umweltverbände. Die Liste der Ausnahmen für die Wirtschaftsbereiche, allen voran Landwirtschaft und Tourismus wurde mit jeder Überarbeitung des Entwurfs ausgedehnt, im Gesetzgebungsausschuss dann nochmals stark erweitert. Von einem Kompromiss kann schon lange keine Rede mehr sein, denn ein solcher setzt ein Entgegenkommen von beiden Seiten voraus. Was in den letzten zweieinhalb Jahren passiert ist, ist eine mehr als einseitige Ausrichtung und Abänderung des Entwurfs auf wirtschaftliche Partikularinteressen und lokalpolitische Einflussnahme. Das übergeordnete Allgemeininteresse an unverbrauchter Landschaft und sparsamen Umgang von Grund und Boden im Hinblick auf den Gestaltungsspielraum für zukünftige Generationen findet sich ebenso wenig, wie die Eckpunkte der dem Gesetzentwurf vorausgegangen Leitlinien.


Zudem werden Sie feststellen, dass eine Reihe von Regelungen und damit direkte Auswirkungen auf Raum und Landschaft in diesem Gesetz noch gar nicht verankert sind, sondern auf rund zwei duzend Durchführungsverordnungen, welche noch nicht geschrieben sind, übertragen werden. Mit Ihrer Zustimmung zum Gesetzentwurf in dieser Form würden Sie damit Ihren legislativen Auftrag und die Verantwortung, welche Sie vom Südtiroler Wähler erhalten haben, blanko an die Exekutive übertragen.

 
Wir ersuchen Sie aus den von uns und vielen anderen Stimmen dargelegten Gründen den nun vorliegenden Gesetzentwurf zu Raum und Landschaft äußerst kritisch zu bewerten, vor allem im Hinblick auf die vielen negativen Auswirkungen im Bereich des Schutzes unserer Landschaft. Wägen Sie dabei ab, ob dieses Gesetz einen Mehrwert für Südtirol, seine künftigen Generationen und die schützenswerte Landschaft darstellt, oder ob ein ausgewogeneres Gesetz mit deutlich weniger Partikularinteressen dem Allgemeinwohl unserer Heimat langfristig nicht weitaus dienlicher wäre.

 
Mit den besten Grüßen
Klauspeter Dissinger - Vorsitzender

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