Es ging ihr dabei nicht darum, einzelne Bauern zu verurteilen, sondern auf die untragbare Situation hinzuweisen. Es kann nicht sein, dass die Politik vollmundig von einer fundamentalen Trendwende in der Bewahrung der Biodiversität Südtirols spricht („Ökologisierung der Landwirtschaft“, „Südtirol, das Land der Artenvielfalt“), auf der anderen Seite aber die Intensivierung in den Berggebieten ungehemmt weiterläuft.
Nicht stehen lassen kann die USGV die Darstellung des Südtiroler Bauernbundes (SBB) in den Medien vom 30.8.2019. Diese unterstützt nämlich durch einseitige Fakten die Logik der Intensivierung. Die Behauptung, auf den Arlui-Wiesen sei alles in Ordnung, wirkt professionell und unanfechtbar, weil durch viele Zahlen „belegt“. Sie geht aber von grundlegend falschen Prämissen aus. Darauf möchte die USGV nun ebenfalls hinweisen.
Laut Pressemitteilung vom 30.8.2019 schickte der SBB den Beratungsring für Berglandwirtschaft (BRING) auf die Arlui-Wiesen, um die Situation zu begutachten. Die USGV gibt zu bedenken, dass der BRING eigentlich eine rein fachliche Beratung anbieten müsste. Dies erscheint aber fraglich, wenn man bedenkt, dass dessen Obmann gleichzeitig Vizeobmann des SBB ist. Es sei daher erlaubt, Zweifel an der politisch unabhängigen Sachexpertise des BRING anzubringen, denn die politisch angehauchten Vorgaben des SBB zwingen auch dieses Beraterteam letztlich zu verzerrten Empfehlungen. Die politischen Vorgaben sind bekannt: die Bergbauern am Berg halten, was die USGV vollends unterstützt, ohne aber auf jegliche ökologische und andere gesellschaftliche Erfordernisse Rücksicht zu nehmen. Letzteres kritisiert die USGV.
So ist das Fazit des BRING, wonach die Arlui-Wiesen „sehr extensiv bewirtschaftet“ werden, auf die angesprochene Wiese hin zu korrigieren. Sehr extensiv bewirtschaftete Wiesen brauchen nämlich KEINE Düngung und somit auch KEINE Gülle. Bergwiesen wurden in der Vergangenheit in der Regel überhaupt nicht gedüngt. Es mangelte an Dünger und der vorhandene wurde auf den hofnahen Äckern und Wiesen gebraucht. Außerdem fehlten Transportmöglichkeiten auf die oft weit entlegenen Flächen. Das ist auch der Grund, warum sich im Lauf der Jahrhunderte artenreiche Wiesen entwickeln konnten. Magerwiesen sind nun mal wesentlich artenreicher als Intensivwiesen! Heute stellt sich ein weiteres Problem: Selbst wenn Magerwiesen gar nicht gedüngt werden, erhalten sie - gemäß Fachliteratur - bereits mehr als ausreichend Nährstoffe über Niederschläge und Staubeinträge usw.
Die USGV stellt klar, dass weite Teile der Arlui-Wiesen nach wie vor extensiv bewirtschaftet werden. Die verstärkte Güllegabe in diesem Jahr auf einem Teil der Wiesen läutet aber eine Entwicklung ein, die am Ende einen massiven Verlust an Biodiversität bedeutet. Noch sind, nach Auskunft des Naturmuseums Südtirol, auf den betroffenen Flächen typische Pflanzen von Magerwiesen vorhanden: u.a. Feuerlilie, Karthäuser-Nelke, Enziane und Orchideen. Es ist jedoch abzusehen, dass sie ganz verschwinden, wenn sich ein Gülleeintrag wie 2019 wiederholt. In „sehr extensiv bewirtschafteten Wiesen“ hat nämlich jede Nährstoffgabe eine weitreichende Folge, so auch in Form von Gülle. Gülle hat im unverdünnten und nicht homogenisierten Zustand zudem die Eigenschaft Deckschichten zu bilden, welche die Rosettenblätter vieler Blütenpflanzen abdecken und durch den Lichtentzug eine Schwächung derselben bewirken – und sei es nur für wenige Tage. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Kontrolle durch den BRING mindestens ein Monat nach der Gülleausbringung erfolgte. Damit lässt sich erklären, warum kaum mehr Güllespuren auf der Wiese nachzuweisen waren.
Weiter steht in der SBB-Aussendung: “Die vier Hektar großen Arluiwiesen, die auf 1.625 Metern Meereshöhe liegen, werden nur einmal alle ein bis zwei Jahre gedüngt. Anders als von den Umweltschützern dargestellt, werden die Wiesen nicht zum ersten Mal, sondern bereits seit mehreren Jahren sporadisch gedüngt”. Das steht in keiner Weise im Widerspruch zu dem, was in der Pressemitteilung der USGV vom 22.8.2019 steht, nämlich: „Kürzlich wurden auf den über 1600 m hoch gelegenen Arlui-Wiesen bei Graun im Vinschgau erstmals große Mengen an Gülle ausgebracht.“ Es geht um den schleichenden Prozess der Intensivierung einer Bergwiese.
Der Anspruch des SBB ist, sich rein auf Fakten zu berufen. Leider verschleiert er andere Fakten. So steht in seiner Aussendung, die Arlui-Wiesen seien nicht als artenreiche Bergwiesen eingestuft, sondern wiesen stattdessen „den Pflanzenbestand von Dauerwiesen“ auf. Zum einen: Jede Bergwiese ist eine Dauerwiese, ob extensiv oder intensiv bewirtschaftet. Zum anderen: Südtirol verfügt als eines der wenigen Gebiete Mitteleuropas noch immer nicht über eine flächendeckende Lebensraumkartierung. Daher gibt es auch keine vollständige, amtlich dokumentierte Auskunft darüber, welche Wiesen im Land artenreich sind und welche nicht. Erst in dem Moment, in dem der Bauer sich freiwillig bereit erklärt, seine Wiese extensiv zu bewirtschaften und dafür gezielte Ausgleichzahlungen in Anspruch nimmt (über die Abteilung Natur und Landschaft), wird seine Wiese von einem Biologen bewertet und amtlich als Magerwiese bzw. artenreiche Bergwiese dokumentiert. In der Folge wird die Wiese amtlich für die Dauer der fünfjährigen Förderperiode überwacht. Dies geschieht aber auch nur solange, wie der Bauer die Ausgleichszahlungen in Anspruch nehmen will.
Das tun derzeit die restlichen Eigentümer der Arlui-Wiesen. Und genau das ist der Punkt: Will er das nicht, wie im Falle der mit Gülle behandelten Arlui-Wiesen, dann sind die Wiesen – auch artenreiche Bergwiesen – ziemlich der Willkür des Bauern ausgeliefert. Hier setzt die Kritik der USGV an: Zum einen ist es der sachgerechte Umgang mit der meist im Überschuss vorhandenen Gülle: Diese hat auf Mager- und artenreichen Bergwiesen sowie Trockenrasen und in Mooren aufgrund „guter naturschutzfachlicher Praxis“ nichts verloren. Zum anderen ist ein verpflichtender Vertragsnaturschutz zum Erhalt der genannten Lebensräume überfällig. Dafür muss der Bauer natürlich grundlegend überzeugt und gut entschädigt werden. Auch sind jegliche Intensivierungen inklusive Planierungen im Berggebiet ohne positive ökologische Fachgutachten sofort zu stoppen.
In der SBB-Aussendung heißt es: „Der Bauer, der die Wiesen pflegt und bewirtschaftet, besitzt nur sieben Milchkühe und zwei Kälber. Wegen des niederen Viehbesatzes ist auch die anfallende Güllemenge gering“ und weiter: „Mit der durchgeführten Düngung wurde somit nicht einmal der Stickstoffbedarf, der durch die Futterernte entsteht, abgedeckt… Der Bauer bewirtschaftet die Flächen sehr extensiv und verursacht keinerlei Umweltschäden.” Eine Bauerschaft mit 7 Kühen und 2 Kälbern ist auch für Südtiroler Verhältnisse tatsächlich klein, der Viehbesatz definiert sich jedoch durch die Anzahl von Großvieheinheiten (GVE) pro Hektar. Die Frage, die es zu beantworten gilt, lautet daher: Wie viele Hektar Futterfläche hat der Bauer für seine 7 Kühe und 2 Kälber zur Verfügung?
Die auf diesem Betrieb anfallende Gülle liegt in der Größenordnung von ca. 150 m3 Gülle pro Jahr (unverdünnt, entspricht in etwa 450 kg Stickstoff). Gemäß dem in Südtirol erlaubten, EU-weit aber einmalig hohen Viehbesatz von bis zu 2,5 GVE pro ha (!) dürfte die dem Bauern verfügbare Futterfläche zwischen 3–5 ha betragen (ohne irgendeine Alpzeit einzuberechnen). Unter dieser Annahme müssten also noch ausreichend intensiv nutzbare Wiesen verfügbar sein – auch für die vom BRING ausgesprochenen Düngungsempfehlungen. Es gäbe also keine Notwendigkeit, Gülle auf die Arlui-Wiesen zu bringen. Wo bleibt hier die futterbauliche Beratung, die auch Nachhaltigkeit und Biodiversität berücksichtigt? Der BRING wird auch mit öffentlichen Mitteln finanziert und sollte daher eine entsprechende Verantwortung wahrnehmen.
Das Verdünnungsverhältnis Gülle zu Wasser von 1:1, wie vom SBB betont, wird in der Fachliteratur empfohlen. Die „gute landwirtschaftliche Praxis“ – von SBB und BRING immer wieder eingefordert – sieht in unserem Land wohl etwas anders aus: Eine 1:1 verdünnte und korrekt aufbereitete Gülle sollte auf den Wiesen optisch kaum sichtbar sein; das Foto vom 27.7.2019 spricht aber eine deutlich andere Sprache.
Laut Berechnung des BRING betrage die ausgebrachte Stickstoffmenge auf den Arlui-Wiesen nur 15,75 kg pro Hektar (ha) und Jahr; eine Dauerwiese, die einmal im Jahr geschnitten wird, benötige aber zwischen 38 und 55 kg Stickstoff.
Auf einer 4-schnittigen Wiese würde das nach der Vorgabe des BRING also einen Stickstoffbedarf von 152-220 kg pro ha und Jahr bedeuten.
Der angegebene Stickstoffbedarf ist nach Prüfung der USGV durch Experten in dieser Form eine irreführende Argumentation und Basis einer falschen Beratung, denn Wiese ist nicht gleich Wiese. Bereits die europäische Wasserrahmenrichtlinie sieht in den besten landwirtschaftlichen Lagen eine maximal auszubringende Menge von 170 kg Stickstoff pro ha und Jahr vor. Die Arlui-Wiesen und mit ihnen die allermeisten Wiesen im Bergland Südtirol liegen nun wirklich nicht in landwirtschaftlichen Gunstlagen. Pro Schnitt liegt die in der Fachliteratur empfohlene Stickstoff-Düngung auch auf ausgesprochen intensiven Futterwiesen bei nicht mehr als 20-30 kg pro ha und Schnitt. Auf wenig intensiven Futterwiesen reduziert sich diese bei einmaliger Schnittnutzung noch zusätzlich. Bei arten- und kleereichen Wiesen wird auf jegliche Düngung verzichtet: Immerhin werden der atmosphärische Stickstoffeintrag und die Stickstoffbindung durch Knöllchenbakterien in solchen Wiesen auf 50-100 kg/ha geschätzt.
Gerade bei den Nährstoffgaben leidet die Argumentation des SBB an Glaubwürdigkeit: Anstatt das Einkommen des Bergbauern durch gerechte Auszahlungspreise für nachhaltig produzierte Qualitätserzeugnisse langfristig zu sichern, wird mit politisch motivierten Nährstoffzahlen operiert. Diese sollen offenbar den überhöhten GVE-Besatz und die damit ermöglichten hohen und teuren Futterzukäufe rechtfertigen. Wenn also die Berechnung des BRING Grundlage für einen erfolgreichen und darüber hinaus gar ökologisch nachhaltig gedachten Futterbau in Südtirol sein soll, dann darf sich der Bergbauer und die ganze Milchwirtschaft in Südtirol nicht über die immer wieder geäußerte Kritik wundern. Eine fachgerecht durchgeführte Beratung sollte doch zu einem positiven Image der Berglandwirtschaft beitragen. Das scheint aber nicht so recht zu gelingen. SBB und BRING mögen erklären, warum in den letzten Jahrzehnten so viele Bergwiesen in Südtirol an Flora und Fauna stark verarmt sind. Etwa, weil alles in Ordnung, gut beraten und angemessen bewirtschaftet ist?
In der Aussendung des SBB heißt es weiter: Auf den Arlui-Wiesen kämen keine Pflanzen vor, die sich typischerweise an Standorten mit hohem Stickstoffangebot ausbreiten würden. Die USGV hält dagegen: Es wäre vielmehr ein Qualitätszeichen der Südtiroler Berglandwirtschaft, wenn sich diese nicht auf das (noch) Nicht-Vorhandensein von Stickstoffzeigern berufen müsste, sondern auf die ökologisch-kulturellen Werte einer artenreichen Berg- oder Magerwiese. Diese sollte die Berglandwirtschaft als Aushängeschild für nachhaltige Wirtschaftsweise in das Zentrum ihres Bewusstseins und der Produktbewerbung stellen.
Für den SBB-Direktor Siegfried Rinner steht fest: „Die Zahlen belegen, dass der Betrieb sorgfältig wirtschaftet…“, was im betrieblichen Sinne stimmen mag. Der Direktor des Südtiroler Bauernbundes scheint jedoch zu ignorieren, dass die Landwirtschaft und speziell die Berglandwirtschaft zu den größten Flächennutzern Südtirols zählt und somit auch eine große Verantwortung für das Allgemeingut Landschaft und Biodiversität hat. Gerne wird von Seiten des SBB auf die Pflege der Kulturlandschaft durch unsere Bauern im Lande hingewiesen – eine Kulturlandschaft, die aber in den letzten Jahrzehnten allarmierend an Struktur und Biodiversität verarmt ist. Ein Verlust aufgrund des europaweit höchsten Tier-Besatzes pro Fläche und aufgrund enormer Futterzukäufe, die enorme Nährstoffüberschüsse bedingen: Mehr als die Hälfte der hochgepriesenen „Südtiroler“ Berg- und Heumilch (beworben mit „Milch nach alter Tradition mit frischen Gräsern, Wiesenkräutern und Heu gefütterten Kühen“) wird mit importiertem Futter produziert.
Laut SBB hätte sich die USGV besser informieren sollen, bevor sie von Gülle-Entsorgung und Zerstörung spricht. Dem kann die USGV die Frage entgegenhalten: Ist je ein kg an zugekauftem Futtermittel in Form von Mist in das Ursprungsgebiet zurückgekehrt? Da auch Biogasanlagen den Nährstoffüberschuss nicht reduzieren können, muss dieser zwangsläufig in der Landschaft „entsorgt“ werden. Das ist keine billige Polemik, sondern wird von den Bauern selbst zunehmend als Problem erachtet. Dies vom SBB zu verleugnen, ist eine Irreführung der Öffentlichkeit und der Futterbauern selbst und zeigt, dass er diese Problematik nicht lösen, sondern eher zementieren will. Es stellt sich die Frage, ob es wirklich die „grünen“ Kritiker sind, die sich im Vorfeld hätten besser informieren sollen. Oder sollten der SBB und der BRING nicht endlich ihre eigene Position, v.a. die agrarpolitische, überdenken?
Denn: In Anbetracht der dargestellten Situation von einer „umweltgerechten und nachhaltigen Milch- und Viehwirtschaft“ zu sprechen, ist unehrlich. Es wäre vielmehr angebracht, sich auf glaubwürdige Werte einer ökologisch-ökonomisch nachhaltig produzierenden Südtiroler Bergbauernwelt zu konzentrieren und den betroffenen Bergbauern eine Perspektive zu geben, die von der ganzen Gesellschaft nicht nur mitfinanziert, sondern auch mitgetragen wird.