Nach wie vor bezweifeln wir die Legitimität des Vorgehens bei der Erstellung des Entwurfes der sensiblen Gewässerabschnitte, da Art. 34 des Landesgesetzes Nr. 2/2015 eindeutig nur von einer Anhörung des Rates der Gemeinden, der Expertenrunde Energie und der repräsentativsten Umweltschutzverbände Südtirols spricht, nicht jedoch davon, dass der erweiterte Energietisch, welcher interessenmäßig absolut unausgewogen ist, in mehreren Sitzungen den von den kompetenten Ämtern der Südtiroler Landesverwaltung erarbeiteten und veröffentlichen Entwurf zu den sensiblen Gewässern, welcher schlussendlich der Südtiroler Landesregierung als Entscheidungsgrundlage vorgelegt wird, absolut einseitig abändert. Es ist nicht im Sinne von Transparenz, Erneuerung und Miteinbeziehung der Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse, wenn trotz der insgesamt 33 eingereichten Stellungnahmen der Öffentlichkeit, welche mehrheitlich einen rigorosen Schutz gefordert haben, der Entwurf völlig einseitig nach den Wünschen der Stromlobby aufgeweicht und verwässert wird. Kein Kriterium wurde rigoroser ausgelegt als ursprünglich vorgeschlagen.
Die E-Wirtschaftsvertreter haben in den verschiedenen Sitzungen den ursprünglichen Entwurf vor allem und in erster Linie als Verhinderungsinstrument dargestellt, ohne jedoch selbst eine Potentialstudie zu der ihrer Meinung nach in Südtirol noch energiewirtschaftlich (nicht finanz- und schon gar nicht bauwirtschaftlich) sinnvollen Nutzung der Wasserkraft vorzulegen, da immer wieder von einer sinnvollen Nutzung der Wasserkraft die Rede war. Die Feststellung und der Vorwurf von Seiten der E-Wirtschaft, der ursprüngliche Entwurf sei zu rigoros, verläuft aufgrund nicht vorhandener Zahlen zum noch vorhandenen Potential an sinnvoll nutzbarer Wasserkraft ins Leere. Der Ausbaugrad der Wasserkraft in Südtirol ist bekannt: Über 1.000 aktuelle Konzessionen, ein überaus bescheidener Beitrag der 860 Kleinkraftwerke von gerade einmal 3% an der Gesamt-Stromerzeugung aus Wasserkraft, ein nicht genutztes Optimierungspotenzial der 30 Großkraftwerke in der Größenordnung aller Kleinkraftwerke und die alpenweit höchste Kraftwerksdichte. Daher muss der Gewässerschutzplan auch dem Ist-Zustand im energiewirtschaftlichen Bereich Rechnung tragen und anerkennen, dass das Kriterium mit der höchsten Inzidenz das Kriterium 2k, jenes der bereits energiewirtschaftlich genutzten Strecken ist. Dies bedeutet, dass der Schutz der Gewässer in Südtirol aufgrund der bereits massiven Nutzung des Wasserkraftpotentials unbedingt erforderlich ist. Mit anderen Worten: Der aktuelle Druck der E-Wirtschaft auf die Gewässer ist bereits jetzt so hoch, dass der Schutz vor allem deswegen so dringlich ist. Hier wiederum im Sinne der E-Wirtschaft Lockerungen und Kompromisse einzugehen, bedeutet de facto einen Brand löschen zu wollen, indem man Öl ins Feuer gießt.
Der Heimatpflegeverband Südtirol und der Dachverband für Natur- und Umweltschutz fordern daher nach wie vor eine Entscheidungsfindung aufgrund des ursprünglich veröffentlichten Entwurfes sowie aller dazu eingereichten Stellungnahmen. Die vorliegende Stellungnahme ergänzt, ersetzt aber nicht die ursprünglich eingereichte Stellungnahme. Diese wird als Anhang diesem Dokument beigelegt und versteht sich als integrativer Bestandteil.
Mit der Aufweichung der beiden im ersten Entwurf enthaltenen Kategorien auf gegenwärtig vier Kategorien verlässt man die Ebene der strategisch eindeutigen und sauberen Planung und delegiert die Entscheidungen auf die Projekt-Ebene. Das Planungsinstrument verliert dadurch nicht nur seine Kernaufgabe, nämlich die Schaffung von Planungssicherheit, sondern führt auch nachfolgend auf der Projekt-Ebene zu mehr Bürokratie und erhöhtem Verwaltungsaufwand. Zudem kommt es durch die Fülle an Einzelentscheidungen durch die verwässerten Kriterien und Ausnahmen unweigerlich zu inkongruenten Entscheidungen, welche wiederum Gegenstand von Anfechtungen und Rekursen sein können.
Das Kriterium 2a) Gewässer mit Einzugsgebiet unter 6 km² und MJNQ <50 l/s sowie die Ausnahme, in bestimmten Fällen auch in noch kleineren Einzugsgebieten Wasserkraftwerke zu errichten, wurden trotz ausführlicher Argumentation in unserer ursprünglichen Stellungnahme unverändert beibehalten. Ohne diese nochmals zu wiederholen (siehe dazu im Anhang) trägt dieses Kriterium der aktuellen Realität der Stromproduktion aus Wasserkraft in Südtirol (siehe oben) sowie der grundsätzlichen Ausrichtung, zukünftig nur noch sinnvolle Wasserkraftnutzung zuzulassen, in keinem Fall Rechnung. Zudem steht dieses Kriterium nicht im Einklang mit dem Einzugsgebietsplan Obere Etsch, den Regelungen benachbarter Provinzen, Regionen, Bundesländer und Kantone sowie dem eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren EU-PILOT 6011/14ENVI gegen den Staat Italien.
Die Entscheidung Kriterium 2e) Gewässer mit sehr gutem ökologischen Zustand bzw. Ziel auf Druck der E-Wirtschaft wieder für Projekt-Ansuchen zu öffnen und dafür eine eigene Kategorie zu schaffen, ist absolut unverständlich, da Sensible Gewässer mit sehr gutem ökologischem Zustand de facto Besonders sensible Gewässer sind. Daher sind beide Kategorien auch gleich zu behandeln und a priori von einer weiteren hydroelektrischen Nutzung auszuschließen. Alles andere wäre ein falsches Zeichen nach außen und hat in einem Planungsinstrument, der dem GewässerSCHUTZ gewidmet ist, nichts zu suchen. Wenn man zudem die Lage der betroffenen Gewässer berücksichtigt, ist bei Quellgewässern in hochalpiner Lage die Sinnhaftigkeit einer hydroelektrischen Nutzung und der Beitrag dieser möglichen E-Werke äußerst fraglich. Aus diesen Gründen sind die Gewässer, welche gegenwärtig in der Kategorie Sensible Gewässer mit sehr gutem ökologischem Zustand wieder zurückzuführen in die Kategorie Besonders sensible Gewässer.
Unbeschadet der äußerst kritischen Betrachtung der Ausnahme, auch in Einzugsgebieten unter 6 km² Wasserkraftwerke errichten zu können, sind unter Kapitel 3. Ausnahmen in jedem Fall jeder Ausnahme das Verbesserungsgebot sowie das Verschlechterungsverbot voranzustellen. Nur wenn beide dieser grundlegenden Leitsätze der WRRL erfüllt sind, können Projekte mit der Begründung der Ausnahme genehmigt werden.
Der neue Entwurf zitiert selbst den LEROP mit den Worten „..., dass in Südtirol nur mehr ein moderater Ausbau der Wasserkraft möglich ist.“ Dieser moderate Ausbau wurde in den zwanzig Jahren von der Verabschiedung des LEROP im Jahre 1995 bis heute nicht nur einmal, sondern bereits mehrfach realisiert. Unsere Gewässer verdienen endlich einen angemessenen Schutz. Südtirol braucht keine zusätzlichen Wasserkraftwerke, die keinen nennenswerten Beitrag zum Stromproduktion liefern. Das aktuell größte Potential der Wasserkraft in ökonomischer wie ökologischer Hinsicht liegt in der Optimierung und Zusammenlegung. Ein griffiger Gewässerschutz ist nicht nur aufgrund der verspäteten Umsetzung gegenüber dem Wassernutzungsplan ein Gebot der Stunde. Eine gegenwärtige Unterschutzstellung schließt eine zukünftige verträgliche Nutzung nicht aus, sollten sich die Voraussetzungen dazu in Zukunft ändern. Nutzen wir allerdings jetzt auch noch den letzten Rest, dann gibt es umgekehrt in Zukunft nichts Schützenswertes mehr. So weit sollten wir es auf keinen Fall kommen lassen.
Mit den besten Grüßen
Dr. Peter Ortner, Präsident Heimatpflegeverband Südtirol
Dr. Klauspeter Dissinger, Vorsitzender Dachverband für Natur- und Umweltschutz